Die Hitzewelle & dein Nervensystem - Wenn der Körper "Nein" sagt

Gehörst du zu den Frauen, die bei der Hitze gerne weite Kleider tragen, aber ganz figgerisch werden, wenn diese um den Körper flattern und ihren BH von sich werfen, weil er plötzlich einengt, überall zwickt und einfach scheiße ist. Ist die Busfahrt schlimmer als sonst? Das Einkaufen viel anstrengender? Alles ist zu laut - zu viel - zu krass und du bist einfach schlapp und zu nix zu gebrauchen... ?
Das ist weder "Einbildung" noch eine übersteigerte "Sensibilität" – sondern ein Hilferuf deines Nervensystems.
Lass mich erklären ...
🧠 Lass uns über Neurozeption sprechen
Dein Nervensystem ist ein hochintelligentes Alarmsystem. Es scannt permanent – meist unbewusst – nach der Frage:
👉 "Bin ich in Sicherheit?"
Diese automatische Wahrnehmung von Sicherheit oder Gefahr nennt man Neurozeption (ein Begriff aus der Polyvagal-Theorie von Stephen Porges) und geschieht über die HPA-Achse, die ich schon oft erwähnt habe hier. Wenn dein Nervensystem erkennt: alles okay, dann bleibst du im sozialen, regulierten Zustand (Ventral Vagal). Wenn es Gefahr wahrnimmt, schaltet es um – in Kampf, Flucht, Freeze oder Shutdown - und begibt sich in den Überlebensmodus.
⚠️ Was ist eine neurozeptive Bedrohung?
Eine neurozeptive Bedrohung liegt vor, wenn dein System auf eigentlich neutrale Reize – wie Hitze, Geräusche, enge Kleidung, Supermärkte, sogar Menschen – mit Überforderung reagiert und sie als potenzielle Gefahr interpretiert.
Warum?
Wenn das Nervensystem bereits überlastet ist, weil es versucht, Dinge wie inneren Stress, chronische Entzündungen, Schmerzen, unerwünschte Symptome, zu bewältigen, dann empfindet es ansonsten "normale" Reize als Überstimulation. So bleibt der Körper ständig in einer Stressreaktion in höchster Alarmbereitschaft. So werden z. B. alltägliche Dinge, wie der Gang zu REWE, Aldi und EDEKA oder das Tragen eines BHs, unangenehm und können sich überwältigend anfühlen – sogar körperlich überwältigend.
Das kann wie die Hölle auf Erden sein, weil das Nervensystem ständig nach Gefahren sucht - innerlich und äußerlich. Der kleinste Hinweis in der Umgebung kann zu einer weiteren Überstimulation führen und Alarm auslösen. Der Körper ist in Hochspannung, obwohl außen scheinbar nichts Dramatisches passiert.
Das Nervensystem schreit förmlich: Weniger Stimulation und mehr innere Sicherheit!
☀️ Und was hat das mit der Hitzewelle zu tun?
Äußere Temperaturen, die über der Norm liegen sind ein starker körperlicher Reiz. Für ein reguliertes Nervensystem normalerweise kein Problem. Aber für ein System, das bereits überfordert ist, können die hohen Temperaturen wie ein zusätzlicher Stressor wirken. Der Reiz triggert die HPA-Achse erneut, die Amygdala erkennt eine Bedrohung, das Nervensystem signalisiert Gefahr und versucht, Energie zu konservieren, um die mögliche Bedrohung zu bekämpfen. Das bedeutet, es versucht dich zu beschützen.
👉 Und plötzlich fühlst du dich wie in einem inneren Notstand – reizbar, erschöpft, nicht mehr du selbst - und es ist dir gar nicht so klar warum!
Das ist kein Zeichen von "ich werde älter" und auch kein Zeichen von Schwäche. Es ist die Sprache deines Nervensystems, das dir etwas zu sagen hat ...
💔 Wenn dein System jetzt reagiert – hör hin
Wenn du dich hier in vielem wiedererkennst – wenn du auf Reize überempfindlich bist, dich zurückziehen willst, die Welt "zu laut" ist – dann ist das kein Zufall. Es ist kein "Sommertief" oder schlechte Laune.
Es ist ein Sprache deines Nervensystems, das sagt "Ich kann und mag nicht mehr im Überlebensmodus funktionieren. Mir reicht's".
Was geschieht eigentlich im Körper in diesen Momenten?
Unser Körper wird über das autonome Nervensystem gesteuert – vor allem über zwei Hauptwege:
den Sympathikus (Stress, Aktivierung, Flucht/Kampf) und den Parasympathikus, dessen wichtigster Akteur der Vagusnerv ist (Ruhe, Verdauung, Heilung, Sicherheit).
Wenn durch Trauma, chronischen Stress oder Dauerüberforderung der Vagusnerv nicht mehr richtig reguliert, dann ist der gesamte innere Haushalt und die Regulationsfähigkeit des gesamten Systems gestört. Das betrifft Herzfrequenz und Blutdruck, die Atmung, Schweiß- und Thermoregulation und Entzündungsreaktionen im Körper. Alles Bereiche, die bei außergewöhnlich hohen Temperaturen zu verstärkter Regulation aufgefordert sind.
Schaffen sie dies nicht, zeigt dir dein Körper, dass vielleicht etwas lange zu viel war und eines oder mehrere Dinge ihn bereits überfordern:
🧠 chronischer innerer Stress
🔥 unterschwellige Entzündungen
🥀 alte, nicht verarbeitete Traumata
💭 oder jahrelange Anpassung an ein Leben, das sich nie wirklich sicher angefühlt hat und nicht wirklich deins war
Die Reaktion auf die äußere Hitze ist oft nur der sichtbare Teil. Was darunter liegt, ist ein Nervensystem, das endlich gehört werden will, weil es schon laaange die weiße Flagge gehisst hat. Es mag nicht mehr länger aushalten und schweigen. Und das ist gut. Denn jetzt hast du die Möglichkeit, dich dir selbst zuzuwenden und den Weg der SelbstHeilung zu inititieren. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wie brennend heiß muss es noch werden?
🕊️ Was du für dich tun kannst
Hier sind ein paar einfache, aber wirksame Maßnahmen, um deinem System wieder Sicherheit und Halt zu geben:
1. Weniger Input
Reduziere, was du reduzieren kannst: grelles Licht, Geräuschquellen, zu enge Kleidung, zu weite Kleidung, Social Media, zu viel Glotze, scharfes Essen, Alkohol, Kaffee, der sowieso eine Stressrakete ist. Erlaube dir Reizpausen.
2. Kühlende Reize bewusst einsetzen
Kühle Fußbäder, kalte Tücher im Nacken, Sprühflasche mit kaltem Wasser und Aromaölen – kleine Impulse, die dein System beruhigen. Ein Ventilator ist nicht nur angenehm, sein sanftes, dauerhaftes Brummen kann das Nervensystem beruhigen.
3. 10 Minuten "Nichts"
Setz dich in einen Raum ohne Input. Kein Handy. Einfach: Atem. Körper. Jetzt. Oder im Schatten, mit Sonnenhut und Kopfhörern, wenn die Nachbarn plappern. Wenn du deinen Vagus dabei aktivieren möchtest, dann lege deine Beine nach oben - hoch an die Wand. Verschränke die Arme hinter dem Kopf und gähne herzhaft und laut.
4. Nervensystemfreundlich sprechen und schlafen
"Ich sehe dich. Es ist gerade viel. Du musst nichts leisten. Ich bin da." Sei verständnisvoll und mitfühlend mit deinem System. Es hat dich weit getragen im Leben und sein Bestes gegeben. Lach nicht darüber ... dein Nervensystem hört jeden deiner Gedanken.
Guter Schlaf ist jetzt wichtiger als je zuvor. Stell sicher, dass dein Schlafzimmer kühl ist - lüfte morgens früh, dann Fenster zu und dunkel bis abends. Ein Ventilator mit Zeitschaltuhr kann beim Einschlafen helfen ebenso wie eine wasserführende Klimaanlage.
5. Erlaube Rückzug und NEINs
Du darfst sagen: Heute nicht. Heute bleibe ich bei mir. Das ist kein Fluchtverhalten – das ist Regulation. Auch wenn die Birne sagt, "ich muss aber doch ..." oder "ich kann doch nicht". Oh doch, du kannst. Deine Gesundheit hängt maßgeblich von der Regulation deines Nervensystems ab.
Das sollte es dir wert sein, oder nicht?
🧭 Die größeren Zusammenhänge
Ob Hitze, Lärm, Informationsflut, Nachrichten von Krieg, Wirtschaftskrisen, Todesfälle oder emotionale Dauerkrisen – unsere Systeme sind nicht dafür gemacht, dauerhaft so viel zu verarbeiten. Es braucht keine Verschwörungstheorie, um zu erkennen:
Das, was viele von uns erleben, ist eine kollektive Reizüberflutung und Überforderung – und gleichzeitig ein Hilferuf unseres Nervensystems nach Stille, Entschleunigung und Raste gepaart mit Bewusstheit, Verbindung, Erdung und Klarheit.
✨ Fazit
Wenn du gerade nicht mehr so "funktionierst" wie früher, dann ist das kein Rückschritt – sondern ein Zeichen von Bewusstsein. Dein Körper rebelliert nicht. Dein Nervensystem schwächelt auch nicht. Es möchte dich davor beschützen, in einem System unterzugehen, das nicht deine wirkliche Heimat ist. Es möchte dich erinnern, dass du nicht dafür gemacht bist, alles auszuhalten. Du bist gemacht für ein sanftes Leben, in Frieden, Harmonie, Freiheit und Erfüllung auf allen Ebenen des Seins. Dafür bist du geschaffen und das hast du verdient. Es ist sozusagen dein Geburtsrecht, und auch wenn es schwer erscheint in einer stetig verrückter werdenden Welt, du kannst die ersten Schritte in diese Richtung tun indem du dich neu justierst.
Weniger Selbstoptimierung, mehr Selbstregulation.
Weniger funktionieren, mehr Selbst-Mitgefühl.
Weniger Tschacka, mehr Tiefe.
Weniger Außen, mehr Innen.
Weniger Härte, mehr Sanftheit.
Weniger Urteil, mehr Gnade.
Weniger Jammern, mehr Beten.
Ich wünsche dir von Herzen eine sanfte, warme Zeit!