Gebet & Nervensystem: Die andere Art der Rückkehr in die Sicherheit

Ich habe sehr viel gelernt in meinem Training zum Somatic Trauma Informed Coach & Leader und den gefühlt unzähligen weiteren Kursen, die ich in den letzten zwei Jahren belegte, doch nirgendwo wurde mir diese eine Sache beigebracht – oder auch nur peripher erwähnt. Das liegt wohl in der Natur der Sache, denn die meisten traumaspezifisch ausgebildeten Fachkräfte arbeiten in einem weltanschaulich neutralen oder säkularen Rahmen. Schließlich ist TraumaArbeit in der Psychologie, bzw. Neurowissenschaft verwurzelt, und Spiritualität und Glaube finden dort nur selten Einlass.
Meine Erfahrung passt also vielleicht gar nicht in diesen Rahmen, daher werde ich vorsichtig sein, daraus allgemeingültige Schlüsse zu ziehen. ABER ich fand es wert, diesem Thema nachzugehen, denn es ist ein Fakt,
dass mein Nervensystem durch regelmäßige Gebete mehr Regulierung und Sicherheit erfahren hat als durch viele andere somatische Regulationsmethoden.
Und das macht für mich selbst aus somatisch traumainformierte Sichtweise total Sinn. Lass mich erklären... doch zuvor noch eine Art Disclaimer.
Gebet ist immer mit dem dahinter liegenden Glauben verbunden. Wenn ich den Heiligen Vater oder Jesus anrufe, dann stellt das natürlich auch die Frage in den Raum: Wieviel hat sich durch meinen Glauben alleine verändert?
Diese Frage zu beantworten ist absolut unmöglich. Dass Glaube alleine Berge versetzen und zu Spontanheilungen führen kann ist unumstritten, doch ich muss der Ehrlichkeit halber das Folgende sagen:
Es fällt mir total schwer, mich vollkommen an den Heiligen Vater oder Jesus zu übergeben.
Und das ist angesichts meiner Geschichte und des Traumas, das ich erfahren habe, ganz normal und sogar wissenschaftlich zu erklären. Der Beschützeranteil, der sich in den ersten sieben Jahres des Lebens gebildet, lässt es kaum zu, anderen Menschen zu vertrauen und sich wahrhaftig zu öffnen. Er wird nun nicht freudig jubeln, wenn er nun die Verantwortung an jemanden oder "etwas" abgeben soll, das für ihn nicht greifbar ist.
Und doch, obwohl es mir so schwer fällt, mich komplett mit jeder Faser meines Seins an Jesus und den Vater hinzugeben, habe ich Linderung durch drei Dinge erfahren, die ich jeden Tag tue.
🙏 Drei tägliche Gebetsrituale mit großer Wirkung
Diese drei Dinge setze ich seit Monaten täglich im Gebet um, und sie haben vieles verändert für mich. Alle anderen somatischen Regulationstechniken habe ich natürlich weiterhin jeden Tag durchgeführt. Also, lass mich einsteigen:
1 Freies Gebet
Ja, ich bete täglich das Vater Unser und das Ave Maria, doch meine Art zu beten ist in den Praktiken der Evangelisten begründet. Dabei handelt es sich nicht um ein stilles Sitzen und vor mich hin murmeln, sondern um lautes, klares Aussprechen – deklarieren, verfügen, ritualistisches sich auf Jesus beziehen und bitten.
Anfangs ist mir das sehr schwer gefallen, denn mein Gehirn war nach zwanzig Jahren Meditation auf Passivität trainiert. Das ist auch der Grund, warum ich seit vielen Jahren nicht mehr meditieren kann. In der Nähe meines SufiLehrers in den USA konnte ich leicht drei, vier Stunden in der stillen Meditiation sitzen und die Gedanken vollkommen beruhigen. Seit meiner Rückkehr und dem Burnout, das darauf folgte, war das unmöglich. Was ich jetzt erlebe macht für mich total Sinn, denn ...
👉 Das laute Aussprechen und klare Formulieren aktiviert den Frontallappen und verhindert, dass das Gehirn im limbischen Zentrum (also, im Gehirnstamm) hängen bleibt, wo Emotionen vorherrschen und kein Rational. Laut gesprochenes Gebet holt uns aus dem limbischen Überlebensmodus in die bewusste Gegenwart zurück. Es gibt Fokus, Ordnung und geistige Klarheit (1).
⚗️ Eine Studie aus dem Jahr 2011 (2) bestätigt dies: Regelmäßiges Gebet (hier muslimisches Salat-Gebet) führte zu reduzierter Herzfrequenz, geringerem Blutdruck und erhöhter parasympathischer Aktivität. Der Parasympathikus ist der Teil des Nervensystems, der "Ruhe und Verdauung" ermöglicht. Wenn er aktiviert ist, schaltet der Körper aus Kampf-/Flucht-Modus in Sicherheit. Gebet wirkt quasi wie ein "innerer Dimmer-Schalter". Die Stressflut nimmt ab, Herz und Atem kommen zur Ruhe und das Nervensystem findet zurück in ein Gefühl von Sicherheit.
2 Hingabe an Gott, den Heiligen Vater
Das mag nun gar nicht das sein, was du dir darunter vorstellst, wenn du das liesst :). Es ist schwer, diesen Aspekt zu erklären und ehrlich gesagt ist es auch ein sehr intimer Bereich für mich. Lass es mich so sagen: Alles begann, als ich Gott mein Herz ausschüttete.
So fing es wirklich an. Ich saß brav im Sessel und kam vor den Vater mit der Bitte, mich zu hören und legte ihm meine Sorgen und Ängste hin. Nach wenigen Tagen geschah etwas Interessantes: Ich fühlte mich gehört. Ich spürte, dass er mich (er)hörte und dass ich nicht in die leere Luft meines Wohnzimmers hinein sprach, denn ich war eingefangen von einem Gefühl der Wärme und des Mitgefühls. So gewann ich mehr Sicherheit und bald schon wurde aus dem braven Mitteilen ein Lamentieren und irgendwann fand ich mich auf den Knien wieder.
Ich heulte, schrie, jammerte, und entgegen den Nervenzusammenbrüchen, die sich früher aus diesen hoch emotionalen Situationen ergaben, war ich gehalten und sicher. Zwanzig Minuten später stand ich auf und fühlte mich leichter, befreiter und innerlich ruhig.
👉 Emotional Processing – also das Verstoffwechseln von alten Emotionen – ist aus meiner Sicht DER Schlüssel zur SelbstHeilung auf allen Ebenen. Das ist gar nichts Neues und schon seit Dr. Sarnos Arbeit in den 70iger Jahren bekannt. Ich denke allerdings, die meisten Menschen brauchen hier die sichernde Unterstützung eines Therapeuten oder Coaches (obgleich die wenigsten Therapeuten so arbeiten).
⚗️ Tatsächlich hat eine Studie im Jahr 2016 gefunden, dass religiöse Meditations- und Gebetsformen die Fähigkeit verstärken , zwischen innerer Erfahrung und äußerem Reiz zu unterscheiden — man wird "innerlich ruhiger, äußerlich wacher". Gebet hilft, die Aufmerksamkeit bewusst zu lenken statt von Angst gelenkt zu werden, was vielleicht insgesamt dazu beigetragen hat, dass ich im Lamentieren gehalten wurde und es letztlich immer leichter wurde, mich hinzugeben.
3 Beichten und Buße tun
Dieser Aspekt ist sicher speziell und mag nicht für jeden anklingen, doch ich möchte ihn nicht ausklammern, weil er mir sehr geholfen hat. Seit ich für mich realisierte, dass fünfzehn Jahre Verirrung in den New Age und okkulten Welten Tür und Tor geöffnet haben für die meisten der traumatisierenden Ereignisse in meinem Leben ist es mir wichtig, dafür Buße zu tun.
Von Gott abgewandt habe ich mich nie, doch seine Regeln habe ich nicht ernst genug genommen. Vollkommen egal, ob Kindheitstrauma und die Folgen dessen mich in die jeweiligen Situationen hineingezogen haben, es ist wichtig, die Verantwortung dafür zu übernehmen. Es geht hier gar nicht um Schuld. Denn schuldig ist hier niemand – wir sind alle Opfer dieses Systems von Inversion und Verschleierung – doch, ohne Verantwortung dafür zu übernehmen ist eine Loslösung nicht möglich.
Deshalb beichte ich und bitte um Vergebung. Und das macht etwas mit meinem Nervensystem.
👉 Beichten beendet den inneren Alarmzustand, wenn dieser auf Schuld, Scham, Angst vor Bestrafung, Fehler, usw. beruht. Denn diese Emotion sind bedrohlich für das Nervensystem und erhöhen Cortisol. Mit diesen Emotionen umzugehen hält den Frontallappen in der Dauerspannung, weil das Gehirn versucht, eine Lösung zu finden. Das Aussprechen und nach Lösungen suchen setzt Oxytocin frei, was die Herzfrequenz senkt und dem Körper Sicherheit signalisiert.
Das sind meine logischen Schlüsse, die ich aus meiner Erfahrung gezogen habe. Die Wissenschaft hat tatsächlich einiges dazu zu sagen, auch wenn es (noch) wenige gründliche Studien zu diesem Thema gibt.
🙏 Beten kann nachweislich post-traumatische Symptome reduzieren
Bereits 2001 fanden Bernardi und Kollegen, dass christliche Gebete korähente Herz-Atem-Wellen erzeugen, die das Nervensystem regulieren (4). Ruhige, rhythmische Atmung ist ein Schlüssel zur Traumaregulierung und diese ist hier unweigerlich gegeben, denn wenn wir beten bringen wir Atem, Herz und Geist in Einklang.
2018 fanden Johnson und Kollegen, dass Gebetsrhythmen, wie z.B. das Rosenkranz-Beten, stressbezogene Symptome, Anspannung und intrusive Gedanken sowie emotionale Überregung bei Menschen mit Trauma-Hintergrund reduzieren (5). Das zeigt, dass Gebet nicht nur beruhigt — es kann regulieren, reparieren und neue Muster im Nervensystem etablieren. Gebet ist kein bloßes Reden. Es ist eine Form von somatischer Erinnerung, die bei regelmäßigem Praktizieren das Nervensystem neu verlinkt.
Fazit: Gebet ist mehr als eine spirituelle Handlung
Es ist eine Erfahrung, die tief in Körper, Herz und Gehirn – und im NERVENSYSTEM – wirkt. Wenn wir beten, sprechen wir nicht in den leeren Raum. Wir sprechen in Beziehung. Denn wir beziehen uns, ob auf Gott oder Jesus oder Maria, wen auch immer. Das ist letztlich eine Form von Co-Regulation, besonders, wenn wir uns gehört fühlen. Heilige Co-Regulation!
Das Nervensystem erkennt genau das. Es reagiert, als würde jemand sagen: "Du bist sicher. Du musst das nicht alleine tragen."
Und vielleicht ist genau das die heilige Kraft des Gebets?
Es führt uns zurück dorthin, wo Trauma uns herausgerissen hat. Zurück in Verbindung. Zurück in Präsenz. Zurück in den Körper. Zurück zu Gott.
So muss es nicht für jeden sein. So war es für mich, und ich bin zutiefst dankbar dafür, denn es hat vieles für mich zum Positiven hin verändert.
✨ 🙏 ✨
Heiliger Vater, im Namen von Jesus Christus komme ich zu Dir.
Ich trete durch Deine Tore mit Dankbarkeit
und in Deine Vorhöfe mit Lobpreis.
Ich danke Dir, Herr, dass Du in meinem Leben bist.
Du schenkst mir Schutz in den Stürmen und Herausforderungen des Lebens.
Ich spreche das Blut Jesu über jedes einzelne Mitglied meiner Familie
zum Schutz und zur Bewahrung unseres Lebens.
Herr, Du hast gesagt, dass Du nicht zulassen wirst,
dass Krankheit und Leid uns nahekommen.
Deshalb erkläre ich: Krankheit und Leid sind weit entfernt von mir.
Ich bete, dass Du mich und meine Familie vor allem bewahrst,
was wir nicht sehen können
und das versucht, uns zu schaden.
Kein Geist der Finsternis, keine unreine Macht,
kein Fluch der Generationen und kein Unglück
wird mich oder meine Familie berühren – wegen Dir.
Dein Wort in Psalm 91 sagt,
dass Du mich schützt vor dem Schrecken der Nacht
und vor dem Pfeil, der am Tag fliegt.
Und ich nehme dieses Versprechen an.
Ich glaube daran, dass Du treu bist zu Deinem Wort.
Herr, Du bist mächtig und allwissend.
Ich trete vor Dich mit aufrichtigem Dank
für Deinen Schutz über meinem Leben.
Danke, dass Du mein sicherer Ort bist,
meine Zuflucht.
Ich danke Dir für Deine liebevolle Fürsorge
und Deine zarten Erbarmungen.
In der unsichtbaren Welt wirkt der Feind,
versucht mich abzulenken und von meinem Glauben zu trennen.
Darum rufe ich Dich an.
Dieser Kampf ist keiner, den ich mit meinen Händen führen kann.
Ich rufe eine Kraft an, die höher ist als ich.
Ich rufe Dich an, Jesus.
Dein Wort sagt, dass der Engel des Herrn
sein Lager aufschlägt um die, die ihn fürchten,
und sie befreit.
"Kostet und seht, wie gut der Herr ist."
Gesegnet ist der Mensch, der auf Ihn vertraut.
Danke für Deine Zusage des Schutzes –
Ein Wort voller Hoffnung und Frieden.
Lass Deine Engel des Friedens vorausgehen.
Lass sie über mich wachen.
Vater, ich ruhe und bin in Frieden,
denn ich weiß:
Ich muss mich nicht selbst schützen,
wenn ich bedeckt bin durch das Blut Jesu.
Schenke mir Deinen Frieden,
damit Angst und Sorge keinen Raum in mir haben.
Ich setze mein Vertrauen in Dich
und empfange heute Deinen göttlichen Schutz.
Ich weigere mich, Angst oder Sorge zu meinem Begleiter zu machen.
Hilf mir, auf Dich zu vertrauen und nicht zu fürchten.
Hilf mir, mich ganz auf Deine unbegrenzte Kraft zu verlassen,
die mich bewahrt und schützt.
Ich bin gesegnet, denn ich stehe unter dem Schutz Jesu Christi.
Ich bin gesegnet, denn Du wachst jeden Tag über mich.
Amen.
(1) Schjødt et al. (2008), Social Cognitive and Affective Neuroscience
(2) Abdullah, A. A. & Omar, Z., "The Effect of Temporal EEG Signals While Listening to Quran Recitation", International Conference on Advanced Science, Engineering and Information Technology, Putrajaya, Malaysia, 2011.
(3) Fox et al. (2016), Frontiers in Human Neuroscience.
(4) Bernardi et al. (2001), British Medical Journal.
(5) Johnson et al. (2018), Journal of Spirituality in Mental Health.
