SchwellenMomente - Die "Blockade" von der niemand spricht

"Um in das Neue einzutreten, muss man seine alte Welt sterben lassen -
und manchmal schließt das Teile von sich selbst ein, die man als Zuhause
bezeichnet hat."
David Whyte
Wir sprechen oft davon, dass Menschen "an ihren Glaubenssätzen festhalten" oder sich "selbst sabotieren", wenn sie auf ihrem Weg der Heilung oder Selbstverwirklichung nicht vorankommen.
Aber was, wenn der Grund viel tiefer liegt?
Ich bin heute davon überzeugt, dass es sowas wie "Blockaden" oder "SelbstSabotage" im Sinne, wie es so oft in der spirituellen Szene verstanden und bearbeitet wird, gar nicht gibt. Ja, negative Glaubenssätze können Heilung oder Selbstverwirklichung verhindern — aber nicht alleine.
Lass mich erklären …
🤲 Zugehörigkeit ist ein Ur-Bedürfnis
Der Mensch ist ein soziales Wesen. Unser Nervensystem ist seit Urzeiten darauf programmiert, dass Zugehörigkeit Sicherheit bedeutet – und Ausschluss Gefahr. Daraus entsteht eine tief in uns ver-ankerte Angst vor Ablehnung, Ausschluss oder Isolation, und evolutionär betrachtet war Ausschluss aus der Gruppe gleichbedeutend mit Tod.
Diese Prägung ist stärker als jedes Ideal von "Freiheit" oder "Selbstverwirklichung" und informiert bis heute unseren Hirnstamm und unser Nervensystem.
Ich glaube, dass viele Menschen ihren Seelenweg nicht gehen oder ihren Weg der Heilung nicht zu Ende gehen, weil sie spüren, dass sie sich dann sie sich dann so sehr verändern, dass sie nicht mehr in ihr altes Umfeld passen würden – und das Nervensystem reagiert darauf mit Stress. Denn, Zugehörigkeit ist überlebenswichtig.
🙏 Loyalität zur alten Welt
Viele Menschen bleiben deshalb unbewusst dort, wo es weh tut – nicht weil sie Heilung nicht wollen, sondern weil ihr Nervensystem das Umfeld oder die Situation als sicher einstuft, einfach weil dort alles bekannt ist. Das Leid ist zwar groß, aber immerhin ist es eine bekannte Größe. Sich so sehr zu verändern, dass möglicherweise die Trennung von nahestehenden Menschen oder einem bekannten Umfeld ansteht, kann enorme Existenzängste hervorrufen, die mit Logik rein gar nichts zu tun haben.
So bleibt der Betroffene
- loyal gegenüber Menschen, die ihn vielleicht missbrauchen,
- loyal gegenüber einem Umfeld, dass ihn klein hält,
- und hält an einer Identität fest, die zwar Sicherheit bedeutet aber gar nicht seinem wirklichen Wesen entspricht.
Veränderung fühlt sich dann wie Verrat an – nicht wie Befreiung.
🙇♀️ Der Zwiespalt zwischen Ruf und Sicherheit
Dieser Konflikt, der sich hier im Menschen abspielt - fast unbemerkt von ihm selbst - ist enorm. Wenn also ein Teil heilen und wachsen will, aber ein anderer Teil Bedenken hat: "Dann verliere ich möglicherweise meine Familie, mein Umfeld, Freunde … ", dann entsteht innerlich ein Konflikt.
Dieser Konflikt kann das Nervensystem in Alarmbereitschaft versetzen und Dysregulation herbei-führen. Das ist kein Mangel an Willenskraft, denn Körper und Nervensystem reagieren auf Druck mit Stress.
Viele, die den Weg der Heilung von Trauma gehen gelangen irgendwann an diesen Punkt, wo sie sich diesem Konflikt - und der sich daraus ergebenden Entscheidung stellen müssen. Sie fühlen, dass sie weitergehen müssen, um wirklich auf einer tieferen Ebene die alten Wunden heilen zu können, und oftmals wird ihnen bewusst, dass das jetzige Umfeld auch zum "alten Muster" gehört und jene Wunden stetig weiter nährt. Die unausgesprochene Frage, die dann im Raum steht ist: Bin ich bereit, über diese Schwelle zu gehen?
Das Nervensystem kennt diesen Moment - oder erkennt ihn, wenn er hier ist - und es reagiert darauf, in manchen Fällen sogar recht heftig.
💆 Alte Identität vs. neue Identität
Heilung von Trauma macht einen Menschen neu, nicht nur metaphorisch sondern auch biochemisch und zellulär. Trauma, genau wie tiefreichende Prägungen, ist in unseren Faszien und Zellen gespei-chert. Die dort gespeicherten Inhalte informieren die neuronalen Verlinkungen in Körper und Gehirn, die wir gezielt in der TraumaArbeit neu verlinken wollen. Wenn sich der Mensch auf diesen Ebenen wandelt, hat das Auswirkungen und es kann sein, dass er sich auf eine Weise transformiert, die fast schon eine neue Identität darstellt. Das ist nicht nur natürlich, sondern auch notwendig, denn das ist ja das, was er möchte!
Nicht umsonst sagt man über TraumaHeilung, dass sie die wahre Essenz des Menschen freilegt.
Dieser Vorgang ist nicht nur eine Transformation, sondern ein alchemischer Prozess, der Schmerz in Licht, Wunden in Lebenskraft verwandelt. Er macht aus Blei Gold und führt den Menschen zu sich selbst hin. Der Mensch erfährt sich oft wie neu, in einer neuen Identität, die dann der alten gegenüber steht und übernehmen möchte, was nicht immer leicht ist. Das Nervensystem kann schon mal verwirrt reagieren hier, und sich immer mal wieder auf das alte Bekannte zurückziehen wollen. Diesem alchemischen Prozess zu navigieren bedeutet sich immer wieder aufs Neue auszurichten - sanft, bestimmt, zielsicher.
🫶. Selbsterlaubnis – ein innerer Schwellenmoment
Jeder Veränderung geht eine Entscheidung vorher. Heilung beginnt oft mit einem meist leisen, aber radikalen Entschluss: "Ich darf anders sein."
Aber diese Erlaubnis kann auch Angst auslösen – vor Ablehnung, vor Verlust, vor Einsamkeit, denn echte Heilung bringt Veränderung mit sich und verändert nicht nur Beziehungen sondern kann weitere Auswirkungen auf die gesamte Lebenssituation haben. Ein Mensch, der sich seinem Kindheitstrauma stellt ist danach nicht mehr der gleiche - was ja auch ganz natürlich ist. Doch die innere Transformation des Menschen kann Bewegung in ein Gefüge bringen, das lange starr war, und diese kann vom Nervensystem oder Körper erst einmal als "gefährlich" eingestuft werden - weil unbekannt.
Viele Menschen halten somit nicht wirklich an alten Glaubenssätzen fest – sie halten sich an alten Bindungen fest, und damit an ihrer alten Identität, ohne sich dessen bewusst zu sein.
Denn beim Alten zu bleiben garantiert (scheinbar) das Überleben.
An diesem Punkt angelangt, sendet der Körper typische Signale, wenn er mit Widerstand auf die Veränderung reagiert:
- plötzliches Erschöpfungsgefühl
- alte Symptome tauchen wieder auf
- ein Drang, "alles hinzuschmeißen"
- Wut, gaaanz viel Wut
All das ist kein Zeichen von Versagen. Es ist ein Zeichen, dass das Nervensystem berührt wurde - und im Grunde ist es sehr positiv, denn es bedeutet, dass etwas im Begriff ist, sich zu wandeln.
Heilung bringt Dysregulation mit sich und in dem Moment, wo die Selbsterlaubnis zur Heilung klar und deutlich formuliert wurde und der erste, kleine Schritt ins Neuland gewagt wird, ist sie fast unausweichlich. Das ist unbequem – manchmal beängstigend, und es ist wichtig, in diesen Momenten nicht allein zu sein.
🤲 Wahre Veränderung braucht Resonanzräume
Wer sich verändert, braucht irgendwann auf dieser Reise neue Resonanzräume: Menschen, Räume, Stimmen, in denen sie oder er sich im Neuen spiegeln darf. Oder anders gesagt, in diesem alchemischen Prozess verändert sich der Mensch auf eine Weise, dass das alte Umfeld als Co-Regulator nicht mehr passt (oder es war sogar Anlass der Veränderung, weil es zum Trauma oder der ursprünglichen Dysregulation beigetragen hat). Egal wie, ein reguliertes Nervensystem spricht auf andere Frequenzen an, insofern ist es zu erwarten, dass es keine Resonanz mehr mit dem Alten gibt.
Ohne neue Zugehörigkeit bleibt der Wandel innerlich einsam. Erst wenn wir woanders sicher sind, können wir loslassen, was uns einst gehalten hat. Dieser Übergang in etwas Neues stellt sich erfahrungsgemäß fast von selbst ein in dem Moment, wo die Entscheidung zur Überquerung der Schwelle gefallen ist — einfacher wird er dadurch allerdings nicht.
🌟 Die spirituelle Dimension: Erinnerung an das wahre Selbst
Am tiefsten Punkt ist jede Heilung eine Rückverbindung mit dem selbst, der eigenen Essenz und oft auch mit dem, was größer ist als wir. Indem wir unsere gebrochenen Anteile heilen und die verlorenen Anteile zurückrufen werden wir wieder Ganz — und heil.
Der Weg vom Trauma in die eigene Essenz ist wie die Rückkehr zur Sophia, zur göttlich weiblichen Weisheit, die in uns allen ruft – aber in einer lauten, leistungsorientierten Welt oft unterdrückt wird.
Heilung ist dann nicht nur ein Weg aus dem Schmerz, sondern ein Weg zurück zur Quelle und auf diesem heiligen Weg gibt es eben diese Schwelle, an die alle gelangen, die wirklich, wirklich heimkehren wollen.
Wenn du spürst, dass dein Weg dich ruft, aber ein Teil in dir Angst hat, die Herde zu verlieren – dann ist das kein Zeichen von Schwäche. Es ist ein Zeichen von Menschlichkeit.
Doch genau da beginnt deine Chance auf Freiheit. An diesem Punkt lade ich dich zu einem PerspektivenWechsel ein: Statt deinen Fokus darauf zu richten, dich von Alten loszusagen, richte deinen Scheinwerfer darauf aus, deine Entscheidungen aus der Treue zu dir selbst zu treffen.
Indem du dir selbst treu bleiben möchtest, bleibst du bei dir und deinem Körper, was dem Nervensystem hilft, nicht nach "Gefahrenzonen" zu scannen.
Das Wissen darüber alleine kann dein Nervensystem regulieren, wenn du dich selbst in den Arm nimmst und sagen kannst, "Ich verlasse mich nicht. Ich bleibe bei mir".
👉 Was Glaubenssätze mit Bindung zu tun haben
Nochmals zu den Glaubenssätzen, denn darüber wird in der Persönlichkeitsentwicklung viel gesprochen:
"Ich bin nicht gut genug."
"Ich muss mich anpassen, um sicher zu sein."
"Ich darf nicht laut sein."
Glaubenssätze werden in der Kindheit geprägt und sind eine Traumafolge, oder genauer, emotionalen Prägungen, die unser Nervensystem gespeichert hat.
Hinter dem Glaubenssatz liegen unerfüllte Bedürfnisses nach Sicherheit, Bindung oder bedingungsloser Liebe, uvm. Insofern sind Glaubenssätze kognitive Ausdrucksformen eines Traumas, das mit Überschreiben oder energetischem Lösen alleine nur schwer transformiert werden kann. Weil die Ursache der Glaubenssätze nicht auf der mentalen, sondern der somatischen Ebene liegt, muss der Körper immer mitgenommen werden, wenn an Glaubenssätzen gearbeitet wird.
Das Verändern von Glaubenssätzen, ohne das System zu beruhigen, kann zu Widerständen und Dysregulation führen, weil der Körper darin die Unwahrheit erkennt.
Sagst du dir 20 mal "Ich bin gesund, heil und vollkommen" während dein Körper vor Anspannung zu zerbersten droht, weiß das Nervensystem sofort, dass dies eine Lüge ist — und eine Lüge ist bedrohlich und es wird immer wieder die Affirmation mit dem alten Glaubenssatz überschreiben, weil dieser Sicherheit verspricht.
🧠 Der Kopf will Veränderung.
🤍 Der Körper will Sicherheit.
Und manchmal widersprechen sie sich.
Deshalb reicht es nicht, nur "anders zu denken". Es braucht verkörperte Sicherheit – und das beginnt bei der Erlaubnis, die du dir selbst gibst, wenn du an der Schwelle stehst und dich selbst umarmst - weil du von nun an, dir selbst treu sein wirst, weil es gar nicht mehr anders geht!