Zeiterscheinung Hypervigilanz - Wenn die Alarmanlage hängt

16.05.2025

oder Warum du dich ständig angespannt fühlst, und was dein Körper dir wirklich sagen will.

So viele von uns leben schon seit geraumer Zeit in einem Zustand, den sie nicht wirklich benennen können. Sie spüren deutlich, dass etwas nicht stimmt, doch die vielschichtigen Symptome zu benennen und in ihrer Ursache zu deuten fällt schwer, wahrscheinlich sogar dem Hausarzt. Der Zustand, den ich weitereichend beobachte hat einen Namen: Hypervigilanz

Man könnte meinen, es sei einfach eine der Erscheinungen dieser Zeit, und fast schon die neue Normalität. Das würde erklären, warum dieser Sache so wenig Aufmerksamkeit gewidmet wird… doch das ist es nicht, denn Hypervigilanz ist alles andere als normal.

Lass mich damit beginnen, wie sich dieser Zustand in uns zeigt. Schau dir die folgende Liste an, vielleicht kommen dir ja einige der Symptome bekannt vor.

🔍 Checkliste: Könnte Hypervigilanz bei dir aktiv sein?

  • Du bist unterschwellig ständig auf der Hut, scannst Menschen, Räume, Situationen
  • Du reagierst schreckhaft auf Geräusche oder Bewegungen
  • Du erwartest das Schlimmste, ohne es zu wollen
  • Du fühlst dich ständig angespannt, nervös oder innerlich leer
  • Du schläfst schlecht, träumst intensiv oder bist erschöpft
  • Du erträgst andere Menschen und Gruppen nur schwer und ziehst dich zurück
  • Du vertraust nur schwer – dir selbst oder anderen
  • Du bist leicht reizbar, teilweise aggressiv oder ängstlich und verunsichert
  • Du hast Symptome wie Herzrasen, Zittern, Verdauungsprobleme 

Wenn du dich hier wiedererkennst, lies bitte weiter.

😶‍🌫️ Hyper … was ist das?

Man könnte Hypervigilanz als eine Art "Überregung" erklären, doch das Wort trifft es nicht genau genug. Es ist eine Art ständige Alarmbereitschaft, die eine enorme Auswirkung auf unser Körper-Geist-Seele System hat.

In der Traumatherapie und Psychologie erkennt man Hypervigilanz als eines der Leitsymptome der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) oder auch komplexen PTBS (PTSD/CPTSD - ich verwende oft die englischen Begriffe). Klarer ausgedrückt ist Hypervigilanz eine Stressantwort des Körpers auf ein Trauma oder chronischen Stress, der noch nicht verstoffwechselt wurde.

🧠 Was geschieht im Körper? Die Biologie dahinter

Hypervigilanz ist das Ergebnis einer überaktiven HPA-Achse (Hypothalamus-Pineal-Adrenals, bzw. Hypothalamus–Hypophyse–Nebennierenrinde), die den Körper in den Überlebensmodus versetzt:

🔁 Die neurobiologische Sequenz der HPA-Achse:

  • Ein Reiz wird als potenzielle Bedrohung erkannt.
  • Die Amygdala schlägt Alarm und aktiviert den Hypothalamus.
  • Dieser funkt an die Nebennierden, die Cortisol ausschütten, um für die Gefahr gewappnet zu sein (Kampf, Flucht, Freeze).
  • Der ventrale Vagus (verantwortlich für soziale Sicherheit und Regulation) zieht sich zurück.
  • Die Schutzsysteme (Sympathikus oder Dorsal-Vagus) übernehmen. Die Regulation geht verloren.

Bleibt das gesamte System in diesem Zustand hängen und wird nicht gezielt wieder in die Ruhe und ein Gefühl von Sicherheit reguliert, verbleibt der Körper in der Daueranspannung - also im Alarm-Modus und das System scannt ununterbrochen nach "Gefahr".
Das ist Hypervigilanz einfach erklärt.

🔁 Chronifizierung bei Trauma

Wenn wir immer wieder Bedrohung erleben (körperlich, emotional, sozial) - real oder getriggert - also in einem Zustand von chronischem Stress sind, bleibt die HPA-Achse überaktiviert. Das Nervensystem agiert nach dem Motto:

"Ich bin nur sicher, wenn ich alles kontrolliere, alles spüre, alles vorhersehe."

Ein Zustand also, in dem das gesamte System ständig auf der Hut ist – nicht aus einer auf die Realität bezogenen Angst, sondern aus einem Überlebensmechanismus heraus. Oder anders gesagt:
Hypervigilanz ist ein körperliches Trauma-Muster das entsteht, weil dein Körper dich schützen will.

Jetzt steht die Frage im Raum, warum wird das so chronisch? Wieso kann das System nicht erkennen, dass gar keine reale Gefahr (mehr) lauert? Die Antwort ist mehrschichtig. Einmal hat es damit zu tun, wie das Nervensystem beschaffen ist:

🌿 Nervensystem - eine zeitlose Existenz

Dr. Gabor Maté sagte das zuletzt bei einem Vortrag in Vancouver. Es ist so einfach und doch so überaus tief. 

Unser Nervensystem ist immer im Hier und Jetzt.

All seine Reaktionen basieren darauf, dass die Aktivierung jetzt geschieht … auch wenn das ursprüngliche Erlebnis schon 30 Jahre zurückliegt und das, was jetzt geschieht ein Trigger des damaligen ist.

Das Nervensystem alleine kennt diesen Unterschied nicht, weil es weder Vergangenheit noch Zukunft lebt. Aber es gibt "jemanden" der vermeintlich bei der Unterscheidung helfen kann.

🧠🔍 Hippocampus – der Gedächtnisverarbeiter & Realitätsprüfer

Der Hippocampus ist ein Teil des Gehirns, der zuständig ist für:

  • die Verarbeitung von Erinnerungen, insbesondere Kontext & Zeit
  • die Unterscheidung zwischen "jetzt" und "damals"
  • das Einordnen: "Ist das wirklich gefährlich – oder nur ähnlich wie früher?"

Der Hippocampus kann also den Nervensystem signalisierten, dass etwas alt und gar nicht mehr relevant ist (banal ausgedrückt), doch dazu muss er voll funktionsfähig sein. Und hier kommt ...

😮‍💨 das Problem bei Trauma & chronischem Stress

Ein chronisch hoher Cortisolspiegel, entstanden durch eine überaktive HPA-Achse
→ wirkt neurotoxisch auf den Hippocampus,
→ führt zu Schrumpfung und Funktionsverlust.

Der Hippocampus kann nicht mehr klar unterscheiden:

  • zwischen heutiger Situation und alter Bedrohung
  • zwischen Tatsache und Gefühl
  • zwischen echter Gefahr und getriggertem Alarm

Erinnerungen werden fragmentiert, nicht kontextualisiert. Die Amygdala feuert dauerhaft Alarm, Alarm – und der Hippocampus ist nicht in der Lage zu erkennen: "Moment – das ist doch schon vorbei. Wir sind eigentlich sicher."

🔁 So entsteht der Teufelskreis

Trauma (oder Trigger) → HPA-Achse → Cortisol → Hippocampus schrumpft
Die Folgen:

  • Eingeschränkte Realitätseinschätzung
  • Mehr Alarm
  • Noch mehr Cortisol
  • Noch schwächerer Hippocampus

🧘‍♀️ Was hilft?

Es gibt Lösungen, aber sie brauchen deine Bereitschaft, dich auf den Körper einzulassen und nicht nur deinen Verstand.

Regulation des Nervensystems (z. B. Somatic Practices, Vagusaktivierung)
Omega-3-Fettsäuren – für Gehirn, Zellmembranen & Beruhigung (z. B. EPA/DHA – wichtig für Hippocampus-Erholung)
BDNF-Stimulation – Bewegung, frische Luft, Nahrungsergänzung
Trauma-sensible Begleitung, die weitere Werkzeuge vermittelt, den eigenen Körper, das NS besser zu verstehen und zu unterstützen

💡 Meine persönliche Sichtweise bzgl. Hypervigilanz

Ja, ohne einen aktiven, gesunden Hippocampus bleibt der Körper in AlarmModus und dem können wir mit den zuvor genannten Lösungsansätzen sehr effektiv begegnen, am besten und effektivsten im Verbund miteinander. Doch sind wir mal ehrlich - das wahre Problem sind nicht die Hypervigilanz und der Hippocampus. Das wahre Problem liegt ganz woanders.

Wir leben wir in einer Welt, die Schnelligkeit, Leistung und Produktivität verherrlicht, leben ein Leben, das ständig mehr fordert – mehr tun, mehr erreichen, mehr funktionieren, mehr Geld, mehr Erfolg, mehr Zeugs, mehr, mehr, mehr. Doch ... 

Unser Nervensystem ist von Natur aus auf Langsamkeit ausgelegt. Es wurde dafür geschaffen, in Rhythmen von Ruhe, Verbundenheit, Präsenz und nährender Einfachheit zu erblühen.

Wir befinden uns ständig in einem Drahtseilakt, dem Wunsch (oder der Angst) mithalten zu wollen (oder müssen) und unserer wahren Natur und dem ursprünglichen Bedürfnis, langsamer zu werden, Rechnung zu tragen. Diese Spannung zwischen unseren uralten, von der Natur in uns angelegten Bedürfnissen und modernen Sehnsüchten spüren wir fast alle – ob bewusst oder unbewusst.

Auf der einen Seite das schnelle Leben – aufregend, ambitioniert, erfolgsorientiert. Auf der anderen Seite das stille Leben – vielleicht in einer Hütte am Waldrand, wo äußerlich wenig geschieht, aber innerlich alles lebendig ist. Zwischen diesen beiden Extremen bewegen sich die meisten, oft ohne sich dessen voll bewusst zu sein. Das geht so lange, bis der Körper Stopp sagt und die Seele ausbrennt.

Denn die Wahrheit ist, unsere Körper sind nicht für das permanente Tempo des modernen Lebens gemacht - unser Nervensystem wurde nicht für die modere Welt erschaffen!

Dazu kommt, dass wir in einem System, das Funktionieren über alles stellt, nie gelernt haben, die Signale des Körpers wahrzunehmen, bzw. richtig zu deuten. Wir lernen Französisch oder Mandarin, verstehen aber die Sprache unseres eigenen Körpers nicht und übergehen deshalb die leise Stimme in uns, die uns ins Ohr flüstert, "es reicht" allzu gerne.

Mit der Zeit führt diese Entfremdung nicht nur zu Erschöpfung, sondern zu Energieverlust, Überforderung, Dysregulation – und gar zu Krankheit.

Der Preis dafür, dass wir uns dem manipulativen Druck von Außen ergeben ist hoch. Wahre Heilung liegt nicht nur darin, das Nervensystem zu regulieren, den Körper in die Entspannung zu bringen und Trauma, bzw. chronischen Stress abzubauen, sondern auch, unsere Biologie und wahre Natur zu ehren und ihr mit Fürsorge, Weisheit und Selbstliebe zu begegnen. Und eine Portion Demut vor diesem Wunderwerk, das uns gegeben wurde, um unsere Seele zu behausen tut sicher auch gut.

Am Ende dürfen wir vielleicht "Erfolg" für uns neu definieren und durch die Brille von Balance und Wohlbefinden auf allen Ebenen des Seins wahrnehmen. Leider tun wir das oft erst, wenn es geknallt hat und schon fast zu spät ist. Doch wir können uns schon vorher umorientieren. 

Es liegt an uns, ob wir die Umkehr zur Heimkehr machen - hin zu uns, zum Göttlichen und zur wahren Essenz, die wir sind.

Es ist meine persönliche Sichtweise, dass die Herausforderungen der letzten fünf Jahre mit Lockdowns, gesundheitlichen und existenziellen Verunsicherungen und all der Spaltung im Land und der globalen Spannung viele Menschen in einen Zustand der Hypervigilanz versetzt haben, ohne dass es ihnen wirklich bewusst ist. Wenn ich mich so umschaue sehe ich deutlich die Spuren dieser Zeit in den Menschen in meinem nahen und weiteren Umfeld, doch ehrlich gesagt, war die Welt auch schon vorher so leistungsorientiert und schnelllebig.

Auch ohne diese krassen fünf Jahre waren viele Körper und Nervensysteme belastet – bei vielen durch eine Kindheit mit Eltern oder Großeltern, die von Kriegstrauma geprägt waren. So hat diese außergewöhnlichen Zeit in Menschen auch vergangene Trauma, bzw. Generationentrauma aktiviert.

All dies darf angeschaut werden, wenn Symptome von Hypervigilanz im Raum stehen. Ich wage zu behaupten, dass wir damit recht alleine auf uns gestellt sind. Weder der Hausarzt ums Eck, noch die Schulpsychologin werden sich diesem Thema stellen können. Es ist also unsere Verantwortung. Deine, meine und all diejenigen, die offen genug sind für diese Sichtweise.

Es liegt an uns, ob wir weiterhin ein Leben gegen unsere Natur leben und Wege gehen wollen für die wir gar nicht gebaut wurden.

💬 Wenn du beim Lesen gespürt hast: "Das bin ich" –
dann trägst du vielleicht auch noch Spannungen in dir, die nicht nur durch dein heutiges Leben, sondern durch alte Erfahrungen, Prägungen und kollektive Felder entstanden sind.

Wenn du bereit bist, dies zu erkunden und dein Nervensystem in Sicherheit und Verbindung zu bringen, dann lade ich dich herzlich zu einem persönlichen Gespräch ein.

💞 In einer 1:1-Beratung schauen wir gemeinsam auf das, was dich bewegt
und finden heraus, wie du deinen Körper, dein System und deine Seele sanft unterstützen kannst.

👉 Schreib mir eine Nachricht oder buch dir direkt hier deinen Termin. Ich freue mich darauf, dir einen sicheren Raum zu öffnen!